EU-Taxonomie: Druck auf die Baubranche, endlich nachhaltig zu wirtschaften

Unternehmen und Investoren werden durch die neue EU-Taxonomie zur Nachhaltigkeit aufgefordert, Bausektor und Immobilienmarkt werden besonders beeinflusst. Warum lohnt es sich, regulatorischen Fassungen von Nachhaltigkeit voraus sein und den Wandel selbstständig anzuführen?

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Publiziert:

28.7.2022

Aktualisiert:

Publiziert von

Stefan Endlweber

CEO der Baukom Group

Die Erde sendet Signale. Empfangen wir sie?

Eine seit Jahrzehnten aufziehende Ökokrise intensiviert sich. Die Antwort darauf? Internationale Regulationen und eine veränderte Nachfrage in allen Märkten. Es scheint eine Bewegung zu sein, die nur eine Richtung kennt. Wer den Wertewandel als Chance nutzen möchte, sollte schnell und entschieden handeln.

Dafür gibt es abgesehen von einem Herz für Biber und Spatzen noch andere gute Gründe. Wer nicht reagiert, macht sich schon bald rechtlich angreifbar – dafür will die neue EU-Taxonomie mit Druck auf beiden Seiten sorgen, bei Unternehmen sowie Investoren. Was genau ist die EU-Taxonomie, wie lässt sie sich definieren?

Die EU-Taxonomie ist ein zentrales Regulationsinstrument, das die Transparenz zu nachhaltiger Unternehmenspraxis deutlich erhöhen soll. So werden Investitionsströme aus dem Finanzsektor an nachhaltige Unternehmen gefördert, um die Verpflichtungen der EU gemäß des European Green Deal zu erfüllen.

Zwischen vielen Akronymen wie ESG, EGD, NFRD und SFDR ließ sich ein Gesamtbild zum Taxonomie-Kosmos erahnen, doch gab kein Artikel in der Recherche einen vollständigen Überblick über alle Zusammenhänge und beweglichen Teile. Dieser Artikel soll das verändern und Dir als Entscheider der Baubranche ein kugelsicheres Grundverständnis zu bestehenden und kommenden Regulationen geben, in das sich alle weiteren Teile einfügen lassen.

Bevor wir zur Taxonomie selbst kommen, betrachten wir den Gesamtkontext, in dem sie sich bewegt: Wie kam es dazu, dass eine solche Taxonomie gebraucht wird? Warum reichten ESG und das Pariser Klimaabkommen noch nicht aus, um unsere Wirtschaft endlich nachhaltiger zu gestalten?

Und was haben eigentlich digitale Zwillinge damit  zu tun?

Stell Dir vor, alle sitzen im gleichen Boot…

… und haben das gleiche Ziel. Alle geben ihr Bestes, dieses Ziel zu erreichen – naja, fast. Ein paar Olympia-Athleten auf Steroiden rudern aktiv in die falsche Richtung.

Ist das die Geschichte des Lobbyismus, der jeder ökologischen Bemühung einen Strich durch die Rechnung macht? Nicht unbedingt, so einfach ist es nicht. Lobbyismus muss nicht per se schlecht sein – politische Entscheidungträger können auch aufrichtig positiv beeinflusst werden.

Der Haken an der Lobbyarbeit entsteht, wo trotz unseres Wissens über die ökologischen Folgen unseres Handelns kein regulatorischer Einspruch kommt, wenn beispielsweise die letzten Urwälder Kanadas den Quartalszahlen rückständiger Konzerne geopfert1 werden.

Es wird kritisch, wenn die Sorge stattdessen bei der finanziellen Stabilität2 forstwirtschaftlicher Unternehmen ist und schließlich Urteile3 gegen das Protestrecht für eine lebenswerte Zukunft verhängt werden.

In Deutschland sehen wir derweil umweltschädliche Subventionierungen in Milliardenhöhe4 und Arbeitsplatzverluste5 in der Solarwirtschaft. Wie bitte? Ja, Arbeitsplatzverluste. Ja genau, das beliebteste Argument im Widerstand gegen entschlossene Umweltgesetzgebungen. Da ist die Solarlobby wohl nicht aktiv genug.

Sind die Anreize falsch gesetzt, ist der nachhaltige Wandel einfach nicht attraktiv genug. Keine Überraschung also, dass selbst die Umsetzung der Beschlüsse internationaler Konferenzen zu wünschen übrig lässt.

Falsche Signale und regulatorische Rückschläge

Umweltzeugs bitte an die Buchhaltung weiterreichen

Was, wenn selbst das Budget zur Beeinflussung politischer Entscheidungsträger nicht das gewünschte Ergebnis bringt und doch einmal eine Umweltgesetzgebung das eigene Geschäft betrifft?

Dann steht bereits ein Budget für das Auffangen erlassener Strafen bereit. Strafzahlungen werden so kein Anlass, die Unternehmenspraxis zu nachhaltig zu wandeln, sondern nur eine verkraftbare oder sogar geplante Ausgabe6.

Unternehmen investieren also Unsummen in die Durchsetzung eines profitablen Status Quo und die Suche nach rechtlichen Schlupflöchern, statt einen nachhaltigen Wandel aufrichtig und entschlossen anzuführen – hoffend, dass ihre Lobby einflussreicher bleibt als die Arbeit aufrichtiger Regulatoren.

Dieser destruktive Trend kulminierte zuletzt darin, dass auch die Ergebnisse der Weltklimakonferenz COP26 im Herbst 2021 dramatisch enttäuschten und die Reaktionen eine klare Sprache sprechen:

  • Big Oil stellte die größte7 Delegation bei der Konferenz, größer als jedes einzelne Land
  • Aktivisten verlassen8 die Konferenz aus Protest gegen die finalen Bestimmungen
  • Erste Schätzungen erwarten den Kurs auf 2.4°C9 nach COP26-Deal
  • Indigene Völker sehen das Ergebnis als Todesurteil10

Die wirkenden Lobby-Interessen hinter den Resultaten waren zu sichtbar, die Motive zu unaufrichtig, die Lösungen zu halbgar. Der Präsident der Konferenz entschuldigte11 sich für die Ergebnisse und erwartete eine Enttäuschung vieler Delegationen über die finale Wortwahl12.

Und nicht nur COP26-Delegationen waren enttäuscht: Eigentlich sollte dieser Artikel zu den Ergebnissen der Konferenz publiziert werden. Doch um Unternehmer dazu einladen zu können, kommenden Regulationen einen Schritt voraus zu sein, musste ich woanders suchen. Die Ergebnisse aus Glasgow ließen das einfach nicht zu.

Rückschläge speziell im Bau

Im Januar 2021, wenige Monate vor der Weltklimakonferenz, blockierte Horst Seehofer13 nach 15 Jahren der Verhandlung eine Verordnung zum Schuttrecycling, nachdem zum Ende des Vorjahres der Bundesrat bereits mit Veränderungen zugestimmt hatte. Diese Entscheidung, die aus der Lobbyarbeit der bayerischen Bauwirtschaft14 hervorging, könnte dabei langfristige ökologische Konsequenzen haben.

Eine angekündigte Förderung für Energieeffizienzhäuser wurde Anfang 2022 spontan zurückgezogen15 und nur die erste Antragswelle zugelassen. Und auch im zweiten Anlauf16 war das Budget für Neubau sehr schnell ausgeschöpft und bereits nach wenigen Stunden nur noch das Sanierungsbudget übrig. Ein Zeichen für starke Nachfrage oder zu knappes Budget für richtungsweisende Projekte – oder beides?

Signale wie diese entziehen nicht nur nachträglich die Grundlage jeglicher Planungssicherheit und Finanzierung für gewissenhafte Bauvorhaben, sondern lassen zudem das Vertrauen in die zukünftige Verlässlichkeit zugesagter Fördertöpfe wanken.

Und doch sollte sich niemand, auch nicht die bayerische Bauwirtschaft, auf die bisher so träge Umsetzung nachhaltiger Regulationen verlassen und zurücklehnen.

Warum?

Aufziehender Trendwechsel

Spiel mit begrenzter Rundenzahl

Fünf Jahrzehnte sind vergangen, seit der Club of Rome den ersten Alarm schlug und wir beinah17 rechtzeitig anfingen, unser globales Emissionsproblem im Frühstadium zu knacken. Tja, beinah – es lief dann doch anders.

Nachhaltigkeit und Umweltschutz haben seit dem ersten Erwachen durch eine Aufnahme unseres fragilen Planeten aus dem All klar an Relevanz und Dringlichkeit gewonnen. Der direkte Blick aus dem All wirkt noch stärker:

»Du entwickelst sofort ein globales Bewusstsein, eine Orientierung am Menschen, eine intensive Unzufriedenheit mit dem Zustand der Welt und das Bedürfnis, etwas zu tun. Von da draußen auf dem Mond wirkt die internationale Politik so kleinlich. Du möchtest einen Politiker am Genick packen, ihn eine Viertelmillion Kilometer hinausschleifen und sagen: ‘Sieh dir das an, du Mistkerl’.«

– Edgar Mitchell,  Astronaut der Apollo 14, über den Blick zurück zur Erde aus dem All

Eines der Bilder unserer Heimat, die unser Bewusstsein veränderten: »Earthrise18« aus dem Jahr 1968

Doch reagieren Unternehmen auf einen kollektiven Sinneswandel und neue Wertemuster unterschiedlich aufrichtig. So haben wir 2022 die gleichen Themen wie damals auf dem Tisch, mittlerweile angepackt von einer wachsenden Zahl hingebungsvoller Pioniere. Doch auch verwässert, verdreht und verschmutzt durch eine Endlosschleife nutzloser Lippenbekenntnisse – ohne aufrichtige Absicht, diese umzusetzen.

Wir sollten uns fragen: Wollen wir das Spiel der Selbstsabotage wirklich weiter spielen bis wir durch reine Nachlässigkeit und Ignoranz irreversible ökologische Kipppunkte finden? Oder finden wir stattdessen ausreichend Integrität und Intelligenz in uns, um einen geschickteren Weg zu gehen?

Die Spielform des Lobbyismus, die kurzfristige Umsatzziele stur19 über langfristige Systemgesundheit stellt, wird sich nur bis zu einem bestimmen Maß sichtbarer ökologischer Schäden durchsetzen können.

Der Diskurs mag verzerrt sein, doch wenn Klimawandel das Thema Nummer eins ist und Klimaschutz ohne echte Kreislaufwirtschaft nicht möglich20 ist, lassen sich zirkuläre Prinzipien als Teil einer immer schärferen Umweltgesetzgebung21 antizipieren.

Der Bausektor im Fokus von Regulatoren

Wer den größten Hebel für eine nachhaltige Transformation der globalen Wirtschaft sucht, wird ihn im Bausektor finden. Die dreifache Goldmedaille in Ressourcenlast, Emissionsmenge und Abfallproduktion22 unter allen Industrien ließ den Bausektor schnell in den Fokus internationaler Regulatoren geraten.

Eine nachhaltige Transformation des Bausektors hin zu einem kreislauffähigen Standard ist eines der zentralen Ziele des European Green Deal23 und von Marktforschungsunternehmen werden immense Marktchancen24 für kreislauffähige Innovation im Bausektor geschätzt.

Unternehmer, Regierungen und Regulatoren bemerken also längst, wohin es gehen muss. Der Wandel kommt ins Rollen und selbst ein träges System setzt sich langsam aber sicher in Bewegung.

Das Fundament für Regulationen entsteht

Spieler aller Fachbereiche und Industrien beginnen bereits ohne politischen Druck, hingebungsvoll an der Vision einer gesünderen Wirtschaft zu arbeiten. Ironisch, denn dabei erschaffen sie das Fundament für … wachsenden politischen Druck.

So hat die NGO GermanZero25 ein 1,5-Grad-Gesetzpaket26 erarbeitet, um handfest zu politischen Entscheidungsträgern durchzudringen. Der kreislauffähige Bau wird darin explizit als zentrale Lösung für Klimagesetzgebung herausgestellt.

Das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN) formulierte bereits eine Normenreihe zur Materialeffizienz27 und nebenan in Luxemburg werden Product Circularity Data Sheets28 entwickelt, um Nutzern informierte Entscheidungen unter der Flagge der Kreislauffähigkeit zu ermöglichen.

Während also der Übergang zu einem allgemeinen zirkulären Industriestandard vorbereitet wird, gießen entstehende Materialkataster wie Madaster29 und Concular30 das Fundament für einen Ruck nachhaltiger Regulationen im Bausektor.

Digitale Gamechanger

Digitale Zwillinge: Simulationsfähige Modelle verändern das Spielfeld

Wenn Gebäude als Materiallager verstanden werden sollen, muss nicht nur die unmittelbare Komplexität von Bauvorhaben in Materialwahl, Fertigung und Konstruktion, sondern auch deren langfristige Komplexität in Nutzung, Wartung und Rückbau abgebildet werden können.

All diese Daten können in digitalen Zwillingen dokumentiert und mit anderen Systemen synchronisiert werden, weshalb sie bereits zunehmend in der Bauprojektplanung verwendet werden. Das macht eine Kreislaufwirtschaft überhaupt erst möglich, weil die notwendige digitale Infrastruktur entsteht, um Gebäude tatsächlich als Materiallager dokumentieren zu können.

Auch können digitale Zwillinge physikalisch modelliert31 und damit simulationsfähig werden. Wichtige Parameter zur Simulation realer Bedingungen können gesammelt und schließlich dynamische Abbilder einer komplexen Welt erzeugt werden. Damit lassen sich Einblicke in lokale wie globale Ursache-Wirkungs-Prinzipien erhalten und wirksame Lösungsansätze für identifizierte Probleme finden.

Es ist davon auszugehen, dass die physikalische Simulationsfähigkeit digitaler Zwillinge mit fortschreitender Entwicklung eine Verlässlichkeit und Aussagekraft hervorbringen werden, die politische Entscheidungsträger und Regulatoren beeinflussen wird.

Damit sind sie eine echte Gefahr für den Ökosabotage-Lobbyismus: Es ist nicht mehr so leicht, durch eine freundliche Zuwendung inspiriert wegzuschauen, wenn eine präzise digitale Simulation die Umwelteffekte eines Tagebaus, einer großflächigen Bodenversiegelung oder einer vollständigen Waldrodung sichtbar machen. Was, wenn im gleichen Zug auch noch ökologische Folgekosten berechnet und Entscheidungsträger tatsächlich für ihre Entscheidungen verantwortlich gemacht werden können?

»Im Moment wird der Gewinn privatisiert und das Risiko vergesellschaftet. Das kann doch nicht sein. Wer den Gewinn hat, muss auch das Risiko haben.«

– Prof. Michael Braungart

Noch wertvoller werden digitale Zwillinge, je mehr sie einem Open-Source-Modell entsprechen und eine Demokratisierung unseres Wissens ermöglichen – quasi Wikipedia in 3D, nur vertrauenswürdiger. Damit können sie als eine reiche Quelle für informierte politische Entscheidungen und als Starthilfe für nachhaltige Innovatoren genutzt werden.

Lokale, nationale und globale Bewegungen

Viele Städte auf dem Weg zur Smart City arbeiten an digitalen Zwillingen und auch weit stadtübergreifende Projekte sind in Arbeit:

  • München32 hat seinen digitalen Zwilling fertiggestellt und geht jetzt in den Feinschliff
  • Für Amsterdam33 wurde schon vor vier Jahren die halbe Stadt als digitaler Zwilling abgebildet und die Niederlande34 scheinen das Feld insgesamt anzuführen
  • Es entsteht ein digitaler Zwilling für ganz Deutschland35 und sogar einer für den gesamten Erdball36

Dabei wird angestrebt, dass universelle Standards geschaffen und digitale Zwillinge miteinander synchronisiert werden, so beispielsweise im Projekt Connected Urban Twins37.

»Im Projekt Connected Urban Twins – Urbane Datenplattformen und Digitale Zwillinge für Integrierte Stadtentwicklung (CUT) entwickelt München gemeinsam mit Hamburg und Leipzig bis 2025 gemeinsame Standards für die Entwicklung Digitaler Zwillinge für alle Kommunen und Städte. Ende März [2022] trafen sich auf ihre Initiative hin mehr als 30 Organisationen, um gemeinsam einen nationalen DIN-Standard für Digitale Zwillinge zu erarbeiten.«

– Aus dem Artikel zum digitalen Zwilling Münchens38

Es entsteht also längst das notwendige digitale Fundament für nachhaltige Regulationen. Gleichzeitig wird die Bewertung wesentlicher Informationen für Investoren neu strukturiert, um der Notwendigkeit des nachhaltigen Wandels gerecht zu werden.

Informationen für Investoren

Does it matter?

Auf dieser Frage basiert das Konzept der Wesentlichkeit oder Materialität. Es geht dabei also nicht um die Eigenschaften nachhaltiger Materialien, sondern darum, ob nicht-finanzielle und doch wesentliche Dimensionen eines Unternehmens berichterstattungswürdig sind.

Kurz: Es geht um alles, was über Geld hinaus geht. Um die Trag- und Flugfähigkeit eines Unternehmens im 21. Jahrhundert einschätzen zu können, werden für Investoren zunehmend dessen nicht-finanzielle Dimensionen transparent gemacht.

Was sind nicht-finanzielle Informationen? Zunächst waren das Informationen über Outside-in Risks: Branchentrends und Konsumentensignale.

Investoren wollten damit zunehmend über Zahlen hinaus schauen und nicht nur auf Grundlage vergangener Quartalszahlen die Zukunft einschätzen. Immerhin kann Wissen darüber, welche Trends auf das Unternehmen wirken, klärenden Aufschluss über die zukünftige Performance und Rendite geben.

Das Prinzip der Materiality war einer der ersten Schritte im Reporting nicht-finanzieller Informationen und stellt die Frage, wie die Welt das Unternehmen beeinflusst
Materiality oder einfache Wesentlichkeit fragt: Welche ökologischen und kulturellen Trends beeinflussen das Unternehmen?

Das Thema Public Health war wohl die letzte große Überraschung, die plötzlich Performance und Umsätze vieler Unternehmen beeinflusste – bis 2019 haben sich nur wenige Unternehmen und Investoren dafür interessiert, dann ein steiler Trendwechsel39.

»… die jüngsten Entwicklungen nach dem weltweiten COVID-Notfall haben deutlich gemacht, wie schnell schon morgen geschäftskritisch werden kann, was heute finanziell unbedeutend erscheint.«

– Aus dem Datamaran Double Materiality Report40

Doch trotz aller Relevanz ist diese Perspektive nur der Blick darauf, wie die Welt auf das Unternehmen wirkt. Mit der doppelten Wesentlichkeit wird nun auch in die andere Richtung geschaut.

Doppelte Wesentlichkeit

Mit Double Materiality wird nun eine zweite Ebene der nicht-finanziellen Berichterstattung hinzugefügt: Inside-out Risks. Es ist nicht mehr nur wichtig, wie die Vorgänge in der Welt auf das Unternehmen wirken – sondern auch, wie das Unternehmen auf die Welt wirkt.

Das Prinzip der Double Materiality ist Teil der EU-Taxonomie und wird die Nachhaltigkeit des Bausektors zukünftig beeinflussen
Endlich im Gleichgewicht: Der Einfluss der Welt auf das Unternehmen und der des Unternehmens auf die Welt.

Damit werden ökologische Folgeschäden blinder Unternehmenspraxis plötzlich für Investoren relevant und vor dem Hintergrund eines wachsenden kollektiven Sinneswandels hin zur Nachhaltigkeit immer unappetitlicher.

Es wird nach dem vollständigem Kontext des Unternehmens in dieser Welt gesucht, ohne blinde Flecken und böse Überraschungen. Die Ära des »Gewinne privatisieren, Verluste und Schäden sozialisieren« endet … vielleicht.

Denn nur wenn richtig angewendet erhalten wir über diesen Trend einen Teil der gewissenhaften Verantwortlichkeit zurück, die durch einen zu engen Fokus auf kurzfristige Profitmaximierung verloren ging.

Was ist nachhaltig?

Nachhaltigkeit kann auf viele verschiedene Arten definiert werden – so beispielsweise nach:

  • Generell eher schwachen Ausschlusskriterien (Was ist nicht nachhaltig? Dann muss doch alles andere nachhaltig sein)
  • Deutlich stärkeren Best-In-Class-Ansätzen (Das nachhaltigste Produkt oder Unternehmen in einem Bereich wird zum Maßstab von Nachhaltigkeit erklärt)
  • Oder wesentlich differenzierteren Bewertungen von Nachhaltigkeit wie beispielsweise einer ausführlichen Ökobilanzierung des Integrated Life Cycle Sustainability Assessment41 (ILCSA)

Die Botschaft ist unter'm Strich nichts Neues: Wo Nachhaltigkeit drauf steht, muss nicht unbedingt Nachhaltigkeit drin sein – und Double Materiality ist dabei keine Ausnahme.

Was für zur wesentlichen Information für Investoren erklärt wird, unterliegt nach dem offiziellen Standard der US-amerikanischen Securities and Exchange Commission (SEC) dem Urteil, ob »eine vernünftige Person die Information für wichtig erachten würde«.

Ganz offensichtlich gibt es bei dieser Auslegung einen Spielraum. Je nachdem, wie aufrichtig das Prinzip des »vernünftigen Menschen« umgesetzt wird, haben wir nun zwei Möglichkeiten42:

  1. Umweltschäden werden nur als Grundlage herangezogen, um rückwirkende finanzielle Risiken für das Unternehmen zu berechnen, beispielsweise durch Strafzahlungen und Imageverlust. Das ist die schwache Auslegung der doppelten Wesentlichkeit – ein sicheres Zeichen dafür, dass wir nichts dazugelernt haben und immer noch glauben, dass wir am Ende unser Geld essen können.
  2. Wir orientieren uns tatsächlich am »vernünftigen Menschen« – einem Menschen, der aufrichtig bemüht ist, unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. In dieser starken Auslegung der doppelten Wesentlichkeit wird versucht, den Gesamtkontext eines Unternehmens in der Welt zu erfassen, alle wesentlichen Informationen auch tatsächlich transparent zu machen und damit aufrichtig nachhaltige Entscheidungen zu ermöglichen.

Diese Entscheidung ist von existenzieller Bedeutsamkeit: Welcher Ansatz wird den Nachhaltigkeits-Bewertungen der Zukunft zugrunde liegen? Nur das Nötigste für ein grünes Image tun oder doch die Zeichen der Zeit verstehen?

Wohin soll’s gehen mit dem Raumschiff Erde?

Um einen rechtlichen Rahmen für echte Nachhaltigkeit zu schaffen, wird mit der neuen EU-Taxonomie eine zentrale Referenz sowohl für Unternehmer als auch Investoren geschrieben, die derartige Unsicherheiten und Inkonsistenzen in der Auslegung von Nachhaltigkeit auflösen soll.

Ob es gelingt?

Überblick über die neue EU-Taxonomie

Der Weg von der ersten Idee zu bindenden Bestimmungen

Seit der ersten Erwähnung von Environmental, Social & Governance im Jahr 2004(43) haben sich die ESG-Kriterien sich von einer Idee zu einem ideellen Rahmen entwickelt, der zunehmend internationale Regulationen und hochdotierte Investitionen beeinflusst.

Es gibt nur ein paar Stolpersteine: Die aktuellen ESG-Kriterien stellen eine eher allgemeine Stoßrichtung mit begrenzter Konsistenz dar, die schwer zu messen ist und letztlich nicht genügend Berechenbarkeit für Unternehmen und Investoren bietet, um sich abschließend darauf zu beziehen.

»Die Erstellung von ESG-Kennzahlen, die Nachverfolgung über Dashboards und der Nachweis von Fortschritten wird nicht einfach sein und stellt für die meisten Unternehmen die größte Hürde dar.…Wie Kultur sind auch ESG-Kriterien schwer zu messen, sodass die Definition von ‘gut’ oder das Setzen konkreter Ziele schwierig wird. Das wird besonders für börsennotierte Unternehmen und den Finanzsektor zu einem echten Problem, wo Anleger bei Produkten nach Sicherheit suchen. Greenwashing ist besorgniserregend, und eine Fehlinvestition könnte zu rechtlichen Konsequenzen führen, die das Vertrauen in den Markt und Investitionen in ESG-Projekte schwächen.«

– Aus einem Artikel44 von Sonia Shah für Grant Thornton

Zudem vergleichen ESG-Kriterien Unternehmen einer Branche untereinander, es ist ein relatives Bewertungsmodell. So kam es zuletzt45 dazu, dass Tesla Inc. nicht den ESG-Kriterien entsprach, während ExxonMobile durchgewunken wurde.

Blindes Vertrauen ist eine wenig empfehlenswerte Haltung, wenn Microsoft46 begleitet von anderen monopolistischen Tech-Riesen47 die oberen Ränge belegt und die Frage nach der Neutralität der Prüfer aufkommt.

»… je mehr Informationen ein Unternehmen über seine ESG-Praktiken offenlegt, desto mehr sind sich Rating-Agenturen uneins darüber, wie gut das Unternehmen in diesen Bereichen abschneidet. Der Studie zufolge geht eine 10-prozentige Zunahme der Unternehmensangaben mit einer 1,3- bis 2-prozentigen Zunahme der Unterschiede in der ESG-Bewertung bei den wichtigsten Ratingagenturen einher, die die Angaben unterschiedlich interpretieren und verarbeiten.«

– Aus einem Artikel48 der Harvard Business School

Können wir uns blind auf unklare ESG-Kriterien49 verlassen, die möglicherweise mit dem Segen käuflicher Rating-Agenturen nur zum selbstzufriedenen Häkchen setzen einladen? Wie genau soll das zu echten Maßnahmen motivieren?

Hier entsteht die Möglichkeit, dass die Resultate nicht nur nicht nachhaltig, sondern sogar aktiv schädlich50 sind – durch die trügerische Zusicherung, es ginge voran.

Eine Taxonomie zur Einhaltung des European Green Deal

Wenn wir ausreichend regulatorischen Druck für das Erreichen der gesetzten Ziele des European Green Deals (EGD) erzeugen wollen, müssen wir uns also etwas Besseres als den ESG-Rahmen einfallen lassen.

Immerhin sollen mit dem EGD hunderte Milliarden Euro für die Klimaneutralität des europäischen Kontinents bis 2050 bereitgestellt und zuvor der Meilenstein einer 55-prozentigen Emissionsreduktion bis 2030 erreicht werden.

Deshalb wird mit der neuen EU-Taxonomie51 konkret, was mit den ESG-Kriterien begonnen wurde: Eine zentrale und standardisierte Referenz für sowohl Unternehmen als auch Investoren, welche ökonomischen Aktivitäten als nachhaltig bewertet werden.

Du hast Zweifel an der Lupenreinheit dieser frohen Botschaft? Zurecht, doch dazu später mehr. Dennoch klopfen Investoren ihre Optionen gerade auf die Erfüllung folgender zentraler Zielsetzungen der EU-Taxonomie ab:

  • Vorbeugung des Klimawandels (Mitigation)
  • Anpassung an den Klimawandel (Adaption)
  • Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  • Der Übergang zu einer echten Kreislaufwirtschaft
  • Prävention und Kontrolle von Umweltverschmutzungen
  • Schutz und Wiederaufbau von Biodiversität und Ökosystemen

Während Regulationen um die ersten beiden Punkte bereits ab Januar 2022 inkraft getreten52 sind, wird der Rest der Bestimmungen ab Januar 2023 vollständig rechtsgültig werden.

Nachhaltigkeit soll einen eindeutigen Definitionsrahmen erhalten und damit durch die nötige Mess- und Berechenbarkeit endgültig sichergestellt werden, dass sowohl unternehmerische Bemühungen als auch das Geld von Investoren endlich in die richtige Richtung fließen.

Wie das? Durch klare Standards für die Berichterstattung.

NFRD, CSRD, SFDR: Pardon?

Nicht das Ergebnis der letzten Scrabble-Runde im Seniorenheim Kleinbernsbach, sondern zunehmend rechtlich bindende Standards in der Berichterstattung für Unternehmen, die unseren Kindern bei aufrichtiger Umsetzung eine Zukunft ermöglichen werden.

Diese Standards sind separate regulatorische Werke und wurden bereits vor und außerhalb des Taxonomie-Rahmens definiert. Sie finden hier Erwähnung, weil sie die finale Version der Taxonomie-Verordnung signifikant beeinflussen werden und deren Architektur vorankündigen.

Auf Unternehmensseite zwingt die NFRD oder Non-financial Reporting Directive Unternehmen dazu, den Umfang ihrer Berichterstattung um nicht-finanzielle Informationen nach dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit zu erweitern und bestimmten Standards unterzuordnen.

Als freiwillige Initiative begonnen, ist die NFRD seit 2018 ein legal wirksamer Standard, der aktuell über 11.000 Unternehmen zur Transparenz über ausgewählte nicht-finanzielle Unternehmensmerkmale auffordert.

»Die Non-financial Reporting Directive (NFRD) ist ein auffallendes Beispiel dafür, wie sich die Landschaft verändert hat und weiter verändert. Die Evolution der Verantwortlichkeit zeigt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis führende freiwillige Initiativen plötzlich geltendes Recht werden. Der Bewegung voraus zu sein hilft Unternehmen dabei, Rückschläge zu vermeiden. Kleinere Unternehmen sind davon genauso betroffen und diejenigen, die nicht reagieren, machen sich angreifbar.«

– Aus einem Datamaran-Artikel zu nicht-finanzieller Berichterstattung53

Auf Investorenseite sorgt die SFDR oder Sustainable Finance Disclosure Regulation dafür, dass Investoren nicht nur eine Handreichung für mehr Transparenz von Unternehmensdaten bekommen, ihre Hand wird zudem regulatorisch in Richtung Nachhaltigkeit geführt: Sie verlangt auch von Spielern an Finanzmärkten eine Offenlegung, inwieweit sie Nachhaltigkeit in ihre Portfoliostrategie einfließen lassen.

Es sind also sowohl die Unternehmensseite als auch die Investorenseite bedacht worden, um Geldflüssen die Richtung zu weisen – nur war bei den Unternehmen noch nicht genug getan.

Corporate Sustainability Reporting Directive: NFRD 2.0

Da die Reichweite der NFRD nicht ausreichte, um alle relevanten Unternehmen abzudecken, tritt die CSRD oder Corporate Sustainability Reporting Directive als Erweiterung der NFRD ab dem ersten Januar 2024 inkraft – mit einer rückwirkenden Berichterstattungspflicht für 2023. Diese umfasst nun fast 50.000 Unternehmen und erweitert den Standard der Berichterstattung.

Es bestehen bereits Vorschläge für einen nächsten Schritt, der erneut die Reichweite erhöhen, die Zahl betroffener Unternehmen steigern und deren Berichterstattung noch granularer erfassen soll.

Übersicht über alle rechtlichen Rahmen, die den Bausektor betreffen: ESG, European Green Deal, EU-Taxonomie, Reporting Directives (NFRD, CSRD) und Disclosure Regulation SFDR)
Mit Effekten auf den Bausektor: Wichtigste Regulationsinstrumente für nachhaltige Entwicklung

Eine alte Investoren-Daumenregel besagt, dass ein Einbeziehen nicht-finanzieller und nachhaltiger Kriterien in Investitionsentscheidungen einen negativen Effekt auf den Ertrag hat. Das sagt sicher so Einiges darüber aus, wie wir überhaupt hier her gekommen sind.

Damit könnte es bald ein Ende haben: Die zunehmende Einberechnung ökologischer Folgeschäden wird zu einer kompletten Neubewertung von Investitionsrenditen führen. Sollten wir es schaffen, die besten Investitionen für unsere Wirtschaft und den Erhalt der Umwelt auch zur gleichzeitig renditestärksten Investition zu machen?

Das ist eine Frage der Auslegung: Wie ernst meinen wir es mit den Kriterien, die wir anlegen?

Noch lange nicht fertig

Enttäuschung, Wut und gereizte Ungeduld machte sich breit, als in den vorläufigen Bestimmungen der Taxonomie sowohl Atomstrom als auch Erdgas als Brückentechnologien und damit als nachhaltig bewertet wurden.

Zwar gab es frühen Gegenwind54 im EU-Parlament, der in einer Vorabstimmung55 gestärkt wurde, doch wurden in der finalen Abstimmung56 Erdgas und Atomstrom als nachhaltig durchgewunken. Es sieht ganz so aus, als hätte der Ökosabotage-Lobbyismus vorerst eine weitere Schlacht gewonnen – Brückentechnologien mögen es sein, doch wahrlich nachhaltig sind sie deshalb noch lange nicht.

Das bricht das Narrativ vom strengen Regulationsinstrument, das eine Stärkung der Umweltgesetzgebung darstellen soll. Stattdessen lassen diese Bewertungen manche Paragraphen der Taxonomie sogar unterhalb bisheriger Standards fliegen, die diese Technologien bisher zurecht als nicht nachhaltig bewertet hatten.

Und selbst vor einer nachhaltigen Einstufung von allzu nachhaltig klingender Bioenergie machte die EU-Kommission leider nicht Stopp:

»Nach Ansicht des europäischen Büros des World Wildlife Fund (WWF) sei es jedoch 'eine katastrophale Nachricht für das Klima und die Artenvielfalt', dass der industrielle Holzeinschlag und das Verbrennen von Bäumen zur Energiegewinnung als nachhaltige Investitionen eingestuft werden. Der WWF warf der EU-Kommission Greenwashing im Finanzsektor vor. Mit dieser Entscheidung zur Bioenergie, welche die Handschrift der waldreichen EU-Länder Schweden und Finnland trage, werde 'die wissenschaftsbasierte Taxonomie zu einer lobbybasierten Taxonomie'.«

– Aus einem Artikel57 des EU-Umweltbüros

Die Umwandlung funktionierender Ökosysteme in Holzpellets, um sie mit miserablem Wirkungsgrad zur Stromerzeugung zu verbrennen, wird also als nachhaltig bewertet. Das lässt eine Frage aufkommen: Wirklich?

Was muss noch passieren, bis wir bereit zu aufrichtigen Umweltmaßnahmen sind und Lobbyarbeit dieser Art unmöglich machen? Erst, wenn die letzten alten und durch ein wenig Baumpflanzerei einfach unersetzlichen Wälder gefallen sind?

Hier bleibt zu hoffen, dass die EU-Taxonomie noch erwachsen wird.

Ohne schlanke digitale Systeme kaum umsetzbar

In einer Umfrage58 unter Unternehmen und deren Stakeholdern zur NFRD hielten59 aktive Nutzer nicht-finanzieller Informationen diese für nicht vergleichbar (84%), verlässlich (74%) oder relevant (70%) genug.

Für kleine und mittelgroße Unternehmen unterstützen 74% der Befragten simplere Berichterstattungsstandards, während 67% zu strikteren Audit-Bedingungen zustimmten.

Was heißt das in der Praxis? Eine Vielzahl befragter Stakeholdern war der Meinung, dass Tagging-Systeme für Maschinenlesbarkeit, eine klare Standardisierung der Berichterstattung und erleichterte Zugänglichkeit durch zentrale Archive die Durchsetzung solcher regulatorischer Werke deutlich erleichtern werden:

»Viele der Befragten sahen in der Digitalisierung einen Wendepunkt, um die Analyse, Vergleichbarkeit und die Entscheidungsfindung der Unternehmens-Berichterstattung zu verbessern und die Art und Weise, wie Geschäfte gemacht werden, grundlegend zu verändern – mit Vorteilen für alle. Im Gegensatz dazu würde ein Verzicht auf die Digitalisierung in der Praxis zu Ineffizienzen führen, die die gesamte nicht-finanzielle Berichterstattung behindern oder gefährden könnten.«

– Aus einem Briefing-Dokument60 des Europäischen Parlaments zur NFRD

Wenn wir es richtig angehen, werden klare Standards innerhalb digitaler Systeme das aktuelle regulatorische Chaos bald beherrschen und das Nachhaltigkeits-Reporting der Zukunft schleifen. Bis dahin ist es die Angst vor Fehlinvestition, die eine Bereitschaft zum eigenständigen Vorausdenken erzeugt.

Aus Angst vor »Stranded Assets« geht es plötzlich voran

Unsicherheit über die genauen finalen Bestimmungen der Taxonomie lässt Investoren lieber genau hinschauen und vorausdenken, als zum Schluss in ein Stranded Asset investiert zu haben – also ein Investment, das ohne Return of Invest »strandet«.

Da langfristige Investitionen nicht selten in den Immobilienmarkt fließen, gibt es hier einen direkten Spillover-Effekt auf den Bausektor.

»Gerade die Bau- und Immobilienwirtschaft wird aufgrund ihrer langfristig wirksamen Investitionen besonders aufmerksam von Geldgebern betrachtet werden.«

– Aus dem Praxisleitfaden61 für die Bau- und Immobilienwirtschaft zur EU-Taxonomie

In einer Tagesspiegel-Umfrage62 wird deshalb von vielen Teilnehmern ein Wertverlust unökologischer Gebäude erwartet. Die Finanzierungsfähigkeit von Immobilienprojekten wird in Zukunft immer mehr von deren Nachhaltigkeit abhängen.

Die vorsichtige Antizipation strengerer Regeln scheint das Element zu sein, das den nachhaltigen Wandel nun auch für jene attraktiv macht, die sonst bevorzugt zwischen Umsatzzahlen und Investitionsrendite denken.

Nachhaltigkeit entwickelt sich vom Idealismus zum Geschäftssinn.

Auch wenn so mancher Unternehmer oder Investor aus den falschen Gründen richtig handeln wird, ist es doch ein Aufbruch in die richtige Richtung: Wie langfristig können wir denken, wie ökologisch können wir bauen?

Wir sehen eine wirtschaftliche Motivation für echte Voraussicht, kommende Regulationen zu antizipieren und ihnen einen Schritt voraus zu sein, statt sich mit jedem neuen Paragraphen erneut schubsen zu lassen und irgendwann hinzufallen.

Zusammenfassung und Ausblick

Eine Ära endet

Wir sehen das Ende der Jahre, in der politische Ziele gesetzt wurden und dann nichts für deren Erfüllung getan wurde. Sie gehen über in ein Paradigma dringlicher kollektiver Aufmerksamkeit für den Erhalt unseres Lebensraumes.

Zwischen der Arbeit nachaltiger Pioniere und stetig steigendem ökologischem Zugzwang sehen sich politische Entscheidungträger zunehmend gezwungen, Geldflüsse endlich als echten Regulator einzusetzen.

Sicher, es gibt Rückschläge – doch schauen wir einmal aus einer Vogelperspektive auf die Makrotrends: Ökologische Schäden werden sichtbarer, Regulatoren aufmerksamer und aufrichtige Nachhaltigkeit zunehmend belohnt.

Diese Trends werden nur wachsen. Wir haben allen Grund, uns entschlossen dem notwendigen Wandel hin zu einer gesunden Wirtschaft zu widmen – wenn das nicht gelingt, verlieren wir viel, wenn nicht sogar alles.

Aggressivem Ökosabotage-Lobbyismus wird zunehmend das Spiel verdorben. Das ist sogar für die Lobbytruppe selbst ein besserer Deal, auch wenn sie es noch nicht wissen: Es wäre wohl eine kurze und bittersüße Freude, Marktführer in einer sterbenden Welt zu sein.

Die Zeichen der Zeit sind unmissverständlich

Welche Signale kündigten allein in diesem Artikel einen Systemwandel hin zu einem kreislaufwirtschaftlichen Paradigma an?

  • Regulatoren nehmen explizit den Bausektor in den Fokus
  • Handfeste Gesetzesvorschläge werden abseits der Politik ausgearbeitet (GermanZero)
  • Zirkuläre Normenreihen werden definiert (DIN)
  • Materialkataster und Materialpässe entstehen (Madaster & Concular)
  • Wachsender Innovationsdruck durch digitale Systeme
  • Speziell digitale Zwillinge werden erwachsen und vernetzen sich
  • Nachhaltigkeitskriterien werden mit der neuen EU-Taxonomie konkreter
  • Investoren spüren massiven Druck, »Stranded Assets« zu vermeiden

Diese Punkte gesellen sich zum generellen Trend, dass einst freiwillige Initiativen der Nachhaltigkeits-Berichterstattung plötzlich geltendes Recht werden. In jedem einzelnen Punkt gibt es direkte Konsequenzen oder mindestens indirekte Implikationen für den Bausektor.

Wenn die gesamte Wertschöftungkette kritisch betrachtet wird, werden Zulieferer zunehmend ihre Nachhaltigkeit belegen müssen und regionale Baustoffe mit geringen Mengen grauer Energie werden bevorzugt werden. Die Baustoff-Klassifikation wird sich verändern und deren Kreislauffähigkeit immer wichtiger.

Die Qualität am Bau und der Raumnutzung wird wichtiger werden als die Menge der Bauprojekte und Effizienzstandards in Wasser, Licht und Wärme werden sich verändern.

Es ist an jedem von uns, sich eine Frage zu stellen:

Welche Auswirkungen werden diese Neuerungen, Bewegungen und Trends in den nächsten zehn Jahren auf kumulative Innovation und reifende Regulationen haben?

Und wie wird eine zunehmende Präzision und Simulationsfähigkeit digitaler Zwillinge auf eine EU-Taxonomie 2.0 wirken?

Von Regulatoren schubsen lassen oder den Wandel anführen?

An dieser Stelle gilt es, abzuwarten … oder vielleicht doch, voranzugehen?

In der Automobilindustrie hat sich Tesla dazu entschieden, anzuführen – auch wenn das aktuell nicht durch ihre ESG-Score reflektiert wird. Volkswagen hingegen lässt sich schubsen. Welchen Platz im Markt möchtest Du einnehmen?

Es geht hier um unternehmerisches Selbstbild, um Rückgrat und Haltung:

Schubsen lassen oder anführen?
Opfer, Saboteur oder doch lieber Vorbild?

Vor fünfzig Jahren war eine erste Tür offen und seitdem gab es weitere Gelegenheiten, auf unserer geradlinigen Talfahrt in den Ökokollaps die Kurve zu bekommen.

Nun öffnet sich eine weitere Tür: Eine Kreislaufwirtschaft, die ungeahntes Regenerationspotential für unseren Planeten verspricht und erwachende Regulatoren, die rückständigen Unternehmen zunehmend Leitplanken installieren werden.

Es geht längst um mehr als Quartalszahlen. Lasst uns die offene Tür diesmal sehen, hindurchgehen und bitte endlich aufrichtig damit sein, unseren Kindern wortwörtlich Luft zum Atmen zu geben.

Quellen

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Eric Bola, CMO of Growintoflow
Publiziert von

Stefan Endlweber

CEO der Baukom Group

Stefan Endlweber ist der CEO der Baukom Group und der Initiator der Bauwende.com.

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